„Andere Gesetze“ i.S. des § 140 AO können auch ausländische Rechtsnormen sein. Eine in Deutschland beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Aktiengesellschaft liechtensteinischen Rechts ist daher im Inland nach § 140 AO i.V.m. ihrer Buchführungspflicht aus liechtensteinischem Recht buchführungspflichtig.

Eine auf ausländischem Recht beruhende Buchführungspflicht eines Steuerpflichtigen ist mithin zugleich als Mitwirkungspflicht im (inländischen) Steuerverfahren zu beurteilen.
Nach der Vorschrift des § 140 AO sind Aufzeichnungs- und Buchführungspflichten aus anderen als Steuergesetzen auch für Besteuerungszwecke zu erfüllen. Dadurch werden insbesondere die Buchführungspflichten nach dem deutschen Handelsgesetzbuch in steuerliche Mitwirkungspflichten „transformiert“. Das entlastet einerseits den Gesetzgeber, der nicht erst spezifische Buchführungspflichten schaffen muss. Für den Steuerpflichtigen ergibt sich der Vorteil, dass er die ohnehin zu fertigenden Buchführungsunterlagen zugleich auch für Steuerzwecke verwenden kann. Der Bundesfinanzhof hat nun entschieden, dass auch etwaige ausländische Buchführungspflichten durch § 140 AO in steuerliche Mitwirkungspflichten transformiert werden.
Der hier vom Bundesfinanzhof entschiedene Fall betrifft eine liechtensteinische Aktiengesellschaft mit inländischen Vermietungseinkünften, die nach liechtensteinischem Recht buchführungspflichtig ist. Das Finanzamt wollte die Gesellschaft zusätzlich zur Buchführung nach deutschem Steuerrecht verpflichten. Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass eine solche Verpflichtung nicht erforderlich ist, weil die Gesellschaft bereits nach § 140 AO für Steuerzwecke zur Buchführung verpflichtet ist.
Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 AO sind gewerbliche Unternehmer, für die sich die Buchführungspflicht nicht aus § 140 AO ergibt, u.a. dann verpflichtet, für diesen Betrieb Bücher zu führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, wenn sie nach den Feststellungen der Finanzbehörde für den einzelnen Betrieb einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von mehr als 50.000 EUR im Wirtschaftsjahr gehabt haben. Die Verpflichtung nach § 141 Abs. 1 AO ist gemäß § 141 Abs. 2 Satz 1 AO vom Beginn des Wirtschaftsjahres an zu erfüllen, das auf die Bekanntgabe der Mitteilung folgt, durch die die Finanzbehörde auf den Beginn dieser Verpflichtung hingewiesen hat.
Die Unternehmerin war bereits nach § 140 AO i.V.m. ihrer Buchführungspflicht aus liechtensteinischem Recht (auch im Inland) zur Buchführung verpflichtet, so dass für die Begründung einer Buchführungspflicht gemäß § 141 AO kein Raum bestand.
Nach § 140 AO hat derjenige, der nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen Bücher und Aufzeichnungen zu führen hat, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, die Verpflichtungen, die ihm nach den anderen Gesetzen obliegen, auch für die Besteuerung zu erfüllen. Ob sich eine materiell-rechtliche Buchführungspflicht isoliert nach Maßgabe von § 140 AO i.V.m. ausländischem Recht ergeben kann, ist umstritten[1]. Die Frage konnte vom Bundesfinanzhof bislang offen gelassen werden[2].
Der Bundesfinanzhof schließt sich der Auffassung an, wonach die Regelung des § 140 AO nicht nur auf inländische, sondern auch auf ausländische Buchführungspflichten verweist.
Die in § 140 AO verwendete Formulierung („andere Gesetze“) beschränkt sich -ebenso wie diejenige in § 4 AO („Gesetz ist jede Rechtsnorm“)- nicht nur auf inländische Rechtsnormen. Der Wortlaut des § 140 AO ist im Gegenteil offen und lässt eine Erstreckung auch auf ausländische Rechtsnormen zu[3].
Dies wird auch durch den mit § 140 AO verfolgten Zweck, möglichst viele außersteuerliche Pflichten für das deutsche Steuerrecht nutzbar zu machen und dadurch den Steuergesetzgeber zu entlasten, bestätigt[4]. Dieser Zweck würde nur eingeschränkt erreicht werden, wenn man nur inländische außersteuerliche Pflichten heranziehen könnte. In rechtsstaatlicher Hinsicht werden allerdings Bedenken an den Umstand geknüpft, dass die durch § 140 AO in innerstaatliches Recht transformierten ausländischen Rechtsnormen naturgemäß nicht den Maßgaben des deutschen Grundgesetzes und der Kontrolle des deutschen Gesetzgebers unterliegen[5]. Den rechtsstaatlichen Bedenken kann indessen ggf. mit einer entsprechenden Anwendung des kollisionsrechtlichen ordre public begegnet werden, dem zufolge eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden ist, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts -insbesondere mit den Grundrechten- unvereinbar ist (siehe Art. 6 EGBGB). Im Übrigen sind dem deutschen Gesetzgeber im internationalen Steuerrecht auch in anderen Konstellationen Einflussnahmemöglichkeiten versagt, z.B. in den Fällen der sog. Qualifikationsverkettung und den Regelungen, die ausländische Rechtsnormen auf die inländische Besteuerung durchschlagen lassen (z.B. § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG).
Schließlich führt auch die Regelung des § 146 Abs. 2 Satz 3 AO, wonach die Übernahme der Ergebnisse der ausländischen Buchführung für bestimmte Fälle angeordnet wird, zu keiner anderen Beurteilung[6]. Die Vorschrift bezieht sich auf die Fälle des § 146 Abs. 2 Satz 2 AO und vermeidet lediglich eine Pflichtenkollision zwischen inländischen und ausländischen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten[7]. Eine darüber hinausgehende Aussage, wonach diese Anordnung „logisch“ voraussetze, dass nicht bereits über § 140 AO durch die ausländischen Buchführungsvorschriften eine inländische Buchführungspflicht begründet wurde, lässt sich der Regelung des § 146 Abs. 2 Satz 3 AO nicht entnehmen[8].
Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. November 2018 – I R 81/16
- bejahend BMF, Schreiben vom 16.05.2011, BStBl I 2011, 530, Rz 3; Dornheim, DStR 2012, 1582; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 140 AO Rz 7; derselbe, Internationale Steuer-Rundschau -ISR- 2014, 265; Gosch in Kirchhof, EStG, 17. Aufl., § 49 Rz 46; Mathiak in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rz A 219; verneinend RFH, Urteil vom 06.06.1934 – IV A 42/34, RStBl 1934, 823; Hess. FG, Urteil vom 15.11.2012 – 11 K 3175/09, EFG 2013, 503; FG Nürnberg, Urteil vom 28.02.2013 – 6 K 875/11, EFG 2013, 1018; Abele, Betriebs-Berater -BB- 2014, 2928, 2930; Beinert/Werder, Der Betrieb -DB- 2005, 1480, 1485; Bernütz/Küppers, Internationales Steuerrecht -IStR- 2011, 587, 588; Bron, DB 2009, 592, 593; Gläser/Birk, IStR 2011, 762; Görke in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 140 AO Rz 11; Könemann/Blaudow, Die Steuerberatung -Stbg- 2012, 220, 221; Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 140 Rz 11; Märtens in Gosch, AO § 140 Rz 10; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz 633; Richter/John, ISR 2014, 37; Podewils, Steuerberater-Woche 2010, 1171, 1174; Schnitger/Fischer, DB 2007, 598; Stahl/Mann, Finanz-Rundschau -FR- 2013, 286, 293; Wachter, FR 2006, 393, 399[↩]
- s. BFH, Urteile vom 13.09.1989 – I R 117/87, BFHE 158, 340, BStBl II 1990, 57; vom 14.09.1994 – I R 116/93, BFHE 176, 125, BStBl II 1995, 238; und vom 25.06.2014 – I R 24/13, BFHE 246, 404, BStBl II 2015, 141, sowie BFH, Beschlüsse vom 09.08.1989 – I B 118/88, BFHE 158, 40, BStBl II 1990, 175, und in BFHE 251, 309, BStBl II 2016, 66[↩]
- so auch FG Nürnberg, Urteil in EFG 2013, 1018; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 140 AO Rz 7; derselbe, ISR 2014, 265, 267; Richter/John, ISR 2014, 37, 38; a.A. Hess. FG, Urteil in EFG 2013, 503[↩]
- BT-Drs. VI/1982, S. 123; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 140 AO Rz 7; derselbe, ISR 2014, 265, 269; Gläser/Birk, IStR 2011, 762; Könemann/Blaudow, Stbg 2012, 220, 221; Märtens in Gosch, AO § 140 Rz 2; Streck, BB 1972, 1363, 1366; derselbe, BB 1973, 32, 35[↩]
- vgl. Märtens in Gosch, AO § 140 Rz 10; Richter/John, ISR 2014, 37, 38; Stahl/Mann, FR 2013, 286, 293[↩]
- vgl. Drüen, ISR 2014, 265, 269; Mathiak in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz A 219; a.A. FG Nürnberg, Urteil in EFG 2013, 1018[↩]
- vgl. Mösbauer, DB 2002, 498, 501[↩]
- vgl. auch Drüen, ISR 2014, 265, 269; Mathiak in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz A 219; a.A. Finanzgericht Nürnberg, Urteil in EFG 2013, 1018[↩]