Progressionsvorbehalt und Übermaßbesteuerung bei freigestellten DBA-Einkünften

Bei unter Progressionsvorbehalt abkommensrechtlich steuerfrei gestellten ausländischen Einkünften liegt auch dann keine unzulässige Übermaßbesteuerung der ausländischen Einkünfte vor, wenn bei Zusammenrechnung der Auslandssteuer und der inländischen Steuererhöhung aufgrund des Progressionsvorbehaltes rechnerisch eine Steuerbelastung der ausländischen Einkünfte von mehr als 49 % entsteht.

Progressionsvorbehalt und Übermaßbesteuerung bei freigestellten DBA-Einkünften

Die abkommensrechtlich zugelassene Einbeziehung der ausländischen Einkünfte bei der Festsetzung des inländischen Steuersatzes erfolgt im Wege des Progressionsvorbehalts. Die Rechtsanwendung im angefochtenen Bescheid lässt keinen Rechtsfehler erkennen; auch verfassungsrechtliche oder unionsrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen nicht.

Nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ist für einen Steuerpflichtigen (hier sinngemäß: für die Kläger im Rahmen ihrer Ehegattenveranlagung im Sinne des § 26 Abs. 1 i.V.m. § 26b EStG), der zeitweise oder während des gesamten Veranlagungszeitraums unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, auf das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden, wenn er Einkünfte bezogen hat, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) steuerfrei sind. Der besondere Steuersatz ist in diesem Fall der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen vermehrt oder vermindert wird um die steuerfrei bezogenen ausländischen Einkünfte, wobei die darin enthaltenen außerordentlichen Einkünfte mit einem Fünftel zu berücksichtigen sind (§ 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG). Allerdings ist die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf solche ausländischen Einkünfte ausgeschlossen, die aus einer anderen als in einem Drittstaat belegenen gewerblichen Betriebsstätte erwirtschaftet werden, die nicht die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG erfüllt (§ 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG).

Die hier angefochtene Festsetzung entspricht insoweit dem Grunde und der Höhe nach dieser gesetzlichen Vorgabe (i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1, 2 und Art. 7 Abs. 1, Abs. 7 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 24.08.2000[1]). Dies gilt insbesondere auch für die Rückausnahme vom Ausschluss der Anwendung des Progressionsvorbehalts in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG – es liegt eine durch die Mitunternehmerstellung in der österreichischen KG vermittelte dortige Betriebsstätte vor (Bergbahnbetrieb), die nicht in einem Drittstaat belegen ist, wobei bei einer nur mittelbaren Förderung des Fremdenverkehrs „aktive“ (die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG erfüllende) Einkünfte vorliegen[2]. Für die Differenzierung zwischen „aktiven“ und „nicht aktiven“ Einkünften gibt es einen ausreichend tragfähigen sachlichen Differenzierungsgrund der Befugnis des Gesetzgebers zu einer wirtschaftspolitischen Lenkung[3], was sich aus der ursprünglichen gesetzgeberischen Intention der Eindämmung unerwünschter Bauherrenmodelle im Fremdenverkehrsbereich[4] erschließen lässt; unionsrechtlich ist eine auf das nationale Recht bezogene Vergleichspaarbildung zwischen beiden Arten der Tätigkeiten ausgeschlossen. Nicht zuletzt ist es auf dieser Grundlage zutreffend, bei einer nur mittelbaren Förderung des Fremdenverkehrs zu einer Qualifizierung als „aktive Einkünfte“ zu gelangen[5], was mit Blick auf die uneingeschränkte Zahl der Nutzungsadressaten bei allen Objekten der allgemein zugänglichen Verkehrsinfrastruktur (und damit auch Bergbahnen) und Sportinfrastruktur (z.B. Schwimmbäder, Golfplätze, Skilifte)[6] gilt.

Durch den in nahezu allen modernen DBA dem Ansässigkeitsstaat vorbehaltenen Progressionsvorbehalt soll sichergestellt werden, dass die Besteuerung nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit, die in den meisten Staaten unter anderem durch eine progressive Gestaltung des Steuertarifs bewirkt wird, ungeachtet der Aufteilung des Steuerguts auf mehrere Staaten erhalten bleibt. Die Verteilung von Einkunftsquellen auf verschiedene Staaten soll sich auf den Steuersatz nicht auswirken, so dass derjenige, der Einkünfte aus mehreren Staaten bezieht, die kraft DBA auch in mehreren Staaten besteuert werden, nicht einem günstigeren oder ungünstigeren Steuersatz unterliegen soll als derjenige, der gleichhohe Einkünfte nur in ein und demselben Staat zu versteuern hat[7]. Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung, dass der Progressionsvorbehalt „als solcher“ nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt[8]. Daran ist festzuhalten.

Auch aus unionsrechtlicher Sicht bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken: Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Einbeziehung nach DBA freigestellter Einkünfte in einen Progressionsvorbehalt weder eine unzulässige Einschränkung der Freizügigkeit noch der Dienstleistungsfreiheit dar[9]. Es ist kein sachlicher (im Gegenstand der jeweiligen Grundfreiheit liegender) Grund ersichtlich, warum dies nicht entsprechend für die Niederlassungs- oder die Kapitalverkehrsfreiheit gelten sollte[10]. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts hat nicht eine Benachteiligung des Beziehers ausländischer Einkünfte zur Folge, sondern vielmehr eine Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Einkünfte. So wird durch den Progressionsvorbehalt eine tarifliche Besserstellung der inländischen Einkünfte vermieden, die anderenfalls aufgrund der Steuerfreiheit der ausländischen Einkünfte tariflich nicht die Progressionsstufe erreichen würde, die ihrer Leistungsfähigkeit entspricht[11]. Dies gilt auch dann, wenn die Gesamtbelastung mit inländischen und ausländischen Steuern höher ist als in der Konstellation, dass die Einkünfte insgesamt der inländischen Besteuerung unterliegen[12]. Denn unionsrechtlich ist nicht geboten, dass die Gesamtsteuerbelastung bei Einkünften aus mehreren Staaten auf den Höchststeuerbetrag einer fiktiven Inlandsbesteuerung „gedeckelt“ wird[13]. Dem Wohnsitzstaat kann die Steuerbelastung im Quellenstaat nicht entgegengehalten werden, was aber Inhalt der auf die Gesamtsumme der in- und ausländischen Steuerbelastung verweisenden Argumentation der Kläger ist.

Da der Bundesfinanzhof insoweit weder verfassungsrechtliche noch unionsrechtliche Zweifel hat, kommt weder eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht noch an den Gerichtshof der Europäischen Union in Betracht; dabei sieht er die Rechtsfrage durch die Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs in einem Maß als geklärt an, dass nach den Maßstäben der EuGH-Rechtsprechung[14] von einer Vorlage an den Unionsgerichtshof (Art. 267 AEUV) auch vom Bundesfinanzhof abgesehen werden kann.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11. Oktober 2023 – I R 53

  1. BGBl II 2002, 735, BStBl I 2002, 585, i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 29.12.2010, BGBl II 2011, 1210, BStBl I 2012, 367[]
  2. s. allgemein dazu BFH, Beschluss vom 26.01.2017 – I R 66/15, BFH/NV 2017, 726; Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 32b Rz 18; Schmidt/Heinicke, EStG, 42. Aufl., § 32b Rz 17; Brandis/Heuermann/Wagner, § 32b EStG Rz 67 f.[]
  3. z.B. BFH, Urteil vom 17.10.1990 – I R 182/87, BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136[]
  4. s. z.B. BeckOK EStG/Hufeld, § 2a Rz 208; s.a. Schuhmann, Finanz-Rundschau -FR- 1998, 95, 96[]
  5. s. insbesondere FG Hamburg, Urteil vom 14.03.2002 – VI 158/99, EFG 2002, 1014; zustimmend z.B. Kaminski in Korn, § 2a EStG Rz 160; Gosch in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 2a Rz 39; Brandis/Heuermann/Wagner, § 2a EStG Rz 159; Schuhmann, FR 1998, 95, 96 f.[]
  6. zu Letzteren ausdrücklich ebenso Schuhmann, FR 1998, 95, 97, aber ohne besondere Begründung anderer Ansicht Kaminski in Korn, § 2a EStG Rz 160[]
  7. z.B. BFH, Urteil vom 22.02.2023 – I R 45/19, BFH/NV 2023, 947; s.a. BFH, Urteil vom 04.08.1976 – I R 152, 153/74, BFHE 119, 470, BStBl II 1976, 662; aus der Literatur z.B. Frenz in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 32b Rz A 5 f.; Kuhn/Hagena in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32b EStG Rz 11; BeckOK EStG/Lammers, § 32b Rz 19.3; Brandis/Heuermann/Wagner, § 32b EStG Rz 28; Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 32b Rz 4[]
  8. BVerfG, Beschluss vom 03.05.1995 – 1 BvR 1176/88, BStBl II 1995, 758; BFH, Urteile vom 04.08.1976 – I R 152, 153/74, BFHE 119, 470, BStBl II 1976, 662; vom 15.05.2002 – I R 40/01, BFHE 199, 224, BStBl II 2002, 660; vom 12.01.2011 – I R 35/10, BFHE 232, 432, BStBl II 2011, 494; vom 25.11.2014 – I R 84/13, BFH/NV 2015, 664; vom 13.04.2021 – I R 19/19, BFH/NV 2021, 1357[]
  9. EuGH, Urteil Bechtel vom 22.06.2017 – C-20/16, EU:C:2017:488, BStBl II 2017, 1271 [Anwendung des Progressionsvorbehalts im Ausgangspunkt unionsrechtskonform, s. sogleich]; BFH, Beschluss vom 16.09.2015 – I R 62/13, BFHE 251, 204, BStBl II 2016, 205; FG Hamburg, Urteil vom 06.02.2014 – 2 K 73/13, EFG 2014, 1000[]
  10. wohl auch Frenz in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 32b Rz A 64; s.a. Kister in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl., § 32b EStG Rz 18 mit Verweis darauf, dass nach der EuGH-Rechtsprechung die abkommensrechtliche Freistellung schon die Vergleichbarkeit mit dem Inlandsfall hindert – s. insoweit auch BFH, Urteile vom 22.02.2023 – I R 35/22 (I R 32/18), BFHE 280, 98, BStBl II 2023, 761; und vom 12.04.2023 – I R 44/22 (I R 49/19, – I R 17/16), BFHE 280, 213, BStBl II 2023, 974[]
  11. BFH, Urteil vom 15.05.2002 – I R 40/01, BFHE 199, 224, BStBl II 2002, 660; BeckOK EStG/Lammers, § 32b Rz 20.1[]
  12. Brandis/Heuermann/Wagner, § 32b EStG Rz 31[]
  13. BFH, Beschlüsse vom 19.07.2010 – I B 10/10, BFH/NV 2011, 17; vom 26.01.2017 – I R 66/15, BFH/NV 2017, 726; BeckOK EStG/Lammers, § 32b Rz 20.1; Wackerbeck, EFG 2021, 1727[]
  14. s. zuletzt EuGH, Urteil Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi vom 06.10.2021 – C-561/19, EU:C:2021:799, NJW 2021, 3303[]