Russische PKW in Deutschland

Der Zoll darf in Russland zugelassene PKW bei der Einreise nach oder der Ausreise aus Deutschland beschlagnahmen.

Russische PKW in Deutschland

In einem vom Landgericht Lübeck entschiedenen Fall wurden zwei Autofahrer, beide russische Staatsbürger, von Beamten der Bundespolizei und des Zolls im Bereich eines norddeutschen Hafengeländes kontrolliert. Der eine Autofahrer war aus Russland kommend gerade mit einer Fähre nach Deutschland eingereist. Der andere Autofahrer wollte Deutschland mit der Fähre in Richtung Russland verlassen. Die Fahrzeuge, SUVs eines deutschen Herstellers, waren beide in Russland zugelassen. Nach einer Kontrolle der Reisepässe und Fahrzeugpapiere der Autofahrer beschlagnahmte das Zollfahndungsamt beide Fahrzeuge.

Dagegen wehrten sich beide Autofahrer juristisch. Letztlich unterlagen sie aber vor dem Landgericht Lübeck. In beiden Verfahren wertete das Gericht die Beschlagnahme durch den Zoll als rechtmäßig. Denn mit ihrer Einreise aus Russland in die Bundesrepublik Deutschland bzw. ihrer versuchten Ausreise in Richtung Russland könnten sich die Autofahrer strafbar gemacht haben: Es ist als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verboten worden, bestimmte Wirtschaftsgüter aus Russland in das Gebiet der Europäischen Union einzuführen sowie bestimmte Luxusgüter aus der Europäischen Union nach Russland auszuführen. Zu den vom Einfuhrverbot betroffenen Wirtschaftsgütern zählen auch PKW. Wenn diese einen Wert von mehr als 50.000, 00 € haben, wie die SUVs der beiden Autofahrer, dann sind sie auch vom Ausfuhrverbot betroffene Luxusgüter. Nach Auffassung des Gerichts sei es für eine Strafbarkeit der Autofahrer unerheblich, ob diese zu geschäftlichen oder touristischen Zwecken unterwegs gewesen seien. Ausreichend sei der bloße Grenzübertritt der Autofahrer. Darüber hinaus sei auch eine Unkenntnis der Autofahrer von dem Ein- bzw. Ausfuhrverbot unerheblich. Denn in verschiedenen Medien sei über die Maßnahmen gegen Russland berichtet worden. Dies hätten die Autofahrer zum Anlass nehmen müssen, vor Antritt der Reise qualifizierten, jeden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Reise ausschließenden juristischen Rat zu suchen. Die Folge: Die Fahrzeuge kommen als Beweismittel in den Strafverfahren gegen die Autofahrer in Betracht und durften daher durch den Zoll beschlagnahmt werden.

In materieller Hinsicht kann ein Gegenstand gemäß § 94 Abs. 1, 2 StPO beschlagnahmt werden, wenn er als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein kann und nicht freiwillig herausgegeben wird. Dies setzt das Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Straftat im Zeitpunkt der Beschlagnahmeanordnung voraus. Weiterhin muss der zu beschlagnahmende Gegenstand potentielle Beweisbedeutung haben und die Beschlagnahme verhältnismäßig sein.

Es besteht der zumindest Anfangsverdacht einer durch die Fahrer begangenen Straftat:

Der ausreisende Fahrer

Zum ausreisenden Fahrer kann dabei dahinstehen, ob sich der Fahrer durch seine mutmaßliche Einreise mit dem PKW in die EU bzw. die Bundesrepublik Deutschland nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AWG i.V.m. Art. 3i Abs. 1, Anh. XXI Teil B KN-Code 8703 VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 07.10.2022 strafbar gemacht hat. Jedenfalls besteht der Anfangsverdacht, dass sich der Fahrer aufgrund seiner mutmaßlich beabsichtigten Ausreise aus Deutschland über Lettland nach Russland wegen des versuchten Verstoßes gegen ein Verbringungsverbot gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a)), Abs. 6 AWG, §§ 22, 23 Abs. 1 Alt. 2 StGB i.V.m. Art. 3h Abs. 1, Anh. XVIII Nr. 17 KN-Code ex 4011 10 00 VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 strafbar gemacht hat.

Gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AWG wird bestraft, wer einem Ausfuhr, Einfuhr, Durchfuhr, Verbringungs, Verkaufs, Erwerbs, Liefer, Bereitstellungs, Weitergabe- oder Investitionsverbot eines im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Union zuwiderhandelt, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient. Gemäß Art. 3h Abs. 1 VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 ist es verboten, in Anhang XVIII aufgeführte Luxusgüter, etwa Personenkraftwagen im Wert von mehr als 50.000 €, unmittelbar oder mittelbar an natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder zur Verwendung in Russland zu verkaufen, zu liefern, zu verbringen oder auszuführen. Der ausreisende Fahrer hat die Tat nicht vollendet, da der PKW das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen hat. Die Strafbarkeit des bloßen Versuchs eines Verstoßes gegen ein Verbringungsverbot im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AWG ergibt sich aus § 18 Abs. 6 AWG i.V.m. §§ 22, 23 Abs. 1 Alt. 2 StGB.

Die VO Nr. 833/2014 ist in allen Fassungen ein Rechtsakt im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 AWG. Der Fahrer dürfte den Tatentschluss gehabt haben, ein im Anhang XVIII der VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 aufgeführtes Luxusgut zur Verwendung in Russland zu verbringen (Art. 3h Abs. 1 VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023).

Es besteht der Anfangsverdacht, dass der PKW ein Luxusgut im Sinne des Anhangs XVIII Nr. 17 KN-Code ex 4011 10 00 VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 ist, da sein Zeitwert mehr als 50.000 € betragen dürfte. Dieser Anfangsverdacht ergibt sich aus den aus der Akte ersichtlichen; und vom Zollfahndungsamt Hamburg bestätigten offenkundigen wertbildenden Umständen (Marke, Modelltyp, Baujahr, Laufleistung und guter Zustand des PKW). Zudem haben anhand der Fahrzeugdaten durchgeführte Onlinerecherchen (z.B. auf den Internetseiten mobile.de, autoscout24.de, dat.de) durchweg einen deutlich höheren Netto-Gebrauchtwagenwert als 50.000 € ergeben.

Der Vortrag der Verteidigerin des Fahrers kann den bestehenden Anfangsverdacht nicht entkräften. Denn selbst wenn auf der Internetseite „mobile.de“ ein mit dem PKW vergleichbares Modell für einen Nettoverkaufspreis von unter 50.000 € angeboten worden sei – dies konnte das Landgericht indes nicht verifizieren, würde ein einzelnes Online-Inserat nicht auf einen objektiv niedrigeren Nettoverkaufswert hindeuten. Zudem dürften etwaig vorhandene von der Verteidigerin vorgetragene Mängel des PKW im Innenraum und in Bezug auf seine Software aus Sicht der Landgericht von lediglich geringer Bedeutung sein und damit lediglich geringe, nicht zu einem mutmaßlichen Nettoverkaufspreis von weniger als 50.000 € führende Auswirkungen auf den objektiven Wert des PKW haben.

Der Fahrer dürfte angesichts dieser offenkundigen wertbildenden Umstände zumindest billigend in Kauf genommen haben, dass der PKW mindestens 50.000 € wert war.

Der Fahrer dürfte auch entschlossen gewesen sein, den PKW nach Russland zu verbringen. Der in der VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 verwendete Begriff „Verbringung“ ist unionsrechtsautonom auszulegen. Hierfür können etwa Begriffsbestimmungen in EU-Rechtsakten, die ein ähnliches Regelungsziel verfolgen, herangezogen werden. Definitionen in nationalen Rechtsakten (z.B. in § 2 Abs.20, 21 AWG) sind dagegen nicht unmittelbar anwendbar[1]. „Verbringen“ im Sinne des Art. 3h Abs. 1 VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 ist weit auszulegen und meint den von einem Handlungswillen getragenen körperlichen Transfer des Luxusguts von einem EU-Mitgliedsstaat in einen anderen EU-Mitgliedstaat mit dem Ziel, dieses Luxusgut nach Russland zu transferieren. „Verbringen“ in diesem Sinne setzt weder den Abschluss eines Verbringungsvertrags noch die Existenz eines von der Person des Verbringers verschiedenen Empfängers voraus. Auch ist unerheblich, ob das Luxusgut zu privaten oder wirtschaftlichen Zwecken transferiert oder in Russland verwendet werden soll. Dieses weite Verständnis des Verbringenbegriffs entspricht dem Regelungsziel des Verordnungsgebers. Die VO Nr. 833/2014 sollte und soll in allen Fassungen russische natürliche und juristische Personen wirtschaftlich schwächen. Dies ergibt sich z.B. aus Erwägungsgründe (1), (2) der VO Nr. 833/2014 und dem Wortlaut von Art. 3h Abs. 1 VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023, der u.a. ausdrücklich die Ausfuhr und Verbringung von Luxusgütern an natürliche Personen verbietet. Eine weite Auslegung des Verbringenbegriffs, bei der auf den bloßen körperlichen Transfer des Luxusguts abgestellt wird, setzt dieses Ziel möglichst effektiv um, da die Hintergründe des konkreten Grenzübertritts (z.B. der konkrete Zweck des Transfers) regelmäßig nicht aufklärbar wären.

Zudem geht auch die ihrer Zweckrichtung nach mit der VO Nr. 833/2014 vergleichbare VO Nr.2021/821 („Dual-use-VO“) von einem weiten Verständnis des mit dem Verbringenbegriff vergleichbaren Ausfuhrbegriffs aus, nach dem für eine Ausfuhr im Sinne der Dual-use-VO das Wirtschaftsgut nicht zwingend an einen Empfänger transferiert werden muss. Darüber hinaus enthält Art. 3h Abs. 3a VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 eine eng begrenzte Ausnahme vom Verbot nach Abs. 1 für bestimmte Güter der persönlichen Verwendung, die nicht zum Verkauf bestimmt sind. Dies zeigt, dass das Verbot nach Abs. 1 grundsätzlich Luxusgüter sowohl mit privaten als auch wirtschaftlichen Zweck umfasst. Mithin unterscheidet der Verbringenbegriff nicht nach dem Zweck des Transfers.

Nach diesen Grundsätzen besteht der Anfangsverdacht, dass der Fahrer entschlossen war, den PKW nach Russland zu verbringen. Denn er beabsichtigte, mit dem PKW aus Deutschland über Lettland nach Russland auszureisen. Auf den Zweck seiner Reise kommt es nicht an.

Dieser Anfangsverdacht ergibt sich aus den Umständen, dass sich der Fahrer in einem augenscheinlich wertvollen Fahrzeug im Ausfuhrbereich einer Fähre nach Lettland und damit auf einer der Erfahrung nach häufig genutzten Ausreiseroute nach Russland befand, sich im Rahmen der Kontrolle als russischer Staatsbürger auswies und sein Fahrzeug in Russland angemeldet war.

Schließlich besteht auch der Anfangsverdacht, dass der Fahrer entschlossen war, den PKW nach Russland zur dortigen Verwendung zu verbringen. Auch die Wendung „zur Verwendung in Russland“ ist aus den vorstehenden Gründen weit auszulegen. Gemeint ist dabei jedenfalls die bestimmungsgemäße Verwendung des konkreten Luxusguts. Der Fahrer dürfte beabsichtigt haben, den PKW als Beförderungsmittel in Russland zu benutzen. Denn der in Russland zu gelassene PKW ist ein von ihm mutmaßlich auch in Russland dienstlich genutztes Fahrzeug.

Der Fahrer setzte unmittelbar zu der ihm vorgeworfenen Straftat an, indem er sich im Zeitpunkt seiner Kontrolle bereits im Ausfuhrbereich des Skandinavienkais und damit im „unmittelbaren Ausreisebereich“ befand, um mit der Fähre über Lettland nach Russland auszureisen.

Weiterhin handelte der Fahrer mutmaßlich auch nicht gemäß § 17 S. 1 StGB schuldlos. Ein etwaiger Irrtum des Fahrers über die Geltung des Verbringungsverbots gemäß Art. 3h Abs. 3a VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 wäre ein Verbotsirrtum gemäß § 17 S. 1 StGB, der angesichts der medialen Berichterstattung über die EU-Sanktionen gegen Russland und der für den Fahrer zumutbaren Möglichkeit, vor Antritt seiner Ausreise – auch in russischer Sprache – verlässlichen und sachkundigen rechtlichen Rat bei einer für die Beantwortung der sich im vorliegenden Fall stellenden Rechtsfragen qualifizierten Stelle, der nachvollziehbar alle etwaig aufkommenden Zweifel beseitigt,[2] einzuholen, indes vermeidbar gewesen sein dürfte.

Der persönliche Strafausschließungsgrund gemäß § 18 Abs. 11 AWG lag nicht vor, da der Fahrer nicht bis zum Ablauf des zweiten Werktages, der auf die Veröffentlichung der VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 folgte, handelte.

Schließlich stand der Beschlagnahme des PKW auch nicht Art. 2 Abs. 2 des Übereinkommens über die vorübergehende Verwendung vom 26.06.1990[3] entgegen. Dieses Übereinkommen soll das zollrechtliche Verfahren der vorübergehenden Verwendung innerhalb der Vertragsstaaten vereinheitlichen[4]. Dagegen sollen die in der VO Nr. 833/2014 angeordneten Sanktionsmaßnahmen russische natürliche und juristische Personen wirtschaftlich schwächen. Schon aufgrund dieser unterschiedlichen Zielrichtungen können die Vereinbarungen im Übereinkommen vom 26.06.1990 die in der VO Nr. 833/2014 angeordneten Sanktionsmaßnahmen nicht einschränken.

Der PKW ist ein potentielles Beweismittel im Sinne des § 94 Abs. 1 StPO, da er im Originalzustand insbesondere zum Nachweis seines Zeitwerts benötigt werden wird. Die Beschlagnahme des PKW war auch verhältnismäßig, da anderenfalls die Gefahr der Ausreise des Fahrers mit dem PKW und damit des Beweismittelverlusts bestanden hätte.

Der einreisende Fahrer

Gegen den einreisenden Fahrer besteht der Anfangsverdacht einer Straftat des Verstoßes gegen das Verbringungsverbot gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Außenwirtschaftsgesetz i.V.m. Art. 3i Abs. 1, Anh. XXI Teil B KN-Code 8703 VO (EU) Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) Außenwirtschaftsgesetz wird bestraft, wer einem Verbringungsverbot eines im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsakt der Europäischen Union zuwiderhandelt, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient.

Nach Art. 3i Abs. 1 VO (EU) 833/2014 in der vom 27.04.2023 bis zum 23.06.2023 geltenden Fassung ist es verboten, die in Anhang XXI aufgeführten Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen, in die Union zu verbringen, wenn sie aus Russland ausgeführt werden. Die VO (EU) Nr. 833/2014 wurde im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. In Anhang XXI Teil A sind unter KN-Code 8703 Personenkraftwagen aufgeführt.

Bei dem Passus „Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen und dadurch die Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ermöglichen“ handelt es sich nicht um ein Tatbestandsmerkmal, sondern um eine rein deklaratorische Verweisung auf die in Anhang XXI genau bezeichneten Güter. Unter die sehr offen gehaltene Formulierung ließe sich ein konkreter Fall nicht sinnvoll subsumieren, sodass das für Strafnormen geltende Bestimmtheitsgebot nicht erfüllt wäre. Dem gegenüber zeigt die außerordentlich detaillierte Auflistung im Anhang, dass der Verordnungsgeber an dieser Stelle die eigentliche Regelung getroffen hat. Derartige Verweisungen finden sich auch bei anderen Import- und Exportverboten, z.B. in Art. 3k VO (EU) 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023, und ist gängige Darstellungsform in Sanktionsverordnungen. Die gegenteilige Auslegung würde eine EU-weit einheitliche Handhabung des Verbringungsverbotes erheblich erschweren und zu einer unübersehbaren Einzelfallkasuistik führen. Art. 3i Abs. 1, Anh. XXI Teil B KN-Code 8703 VO (EU) 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 ist nicht nur auf Vorgänge mit gewerblichem Charakter anzuwenden, sondern auch auf private Angelegenheiten wie etwa Urlaubsreisen. Denn in Art. 3i Abs. 3a VO (EU) 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 wurden Ausnahmen für bestimmte private Vorgänge, nämlich für Käufe in Russland, die für den persönlichen Gebrauch von Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten und ihrer unmittelbaren Familienangehörigen erforderlich sind, ausdrücklich geregelt. Im Umkehrschluss sind die übrigen privaten Vorgänge vom Verbot umfasst. Zudem würde eine Unterscheidung zwischen gewerblichen und privaten Vorgängen zu ganz erheblichen Beweisproblemen führen, etwa wenn Fahrten mit dem Zweck des Fahrzeugverkaufs als Urlaubsfahrt deklariert werden würden. Dies stünde dem Grundsatz entgegen, dass europäische Rechtsakte so ausgelegt und angewendet werden müssen, dass sie die größtmögliche Effizienz erzielen.

Durch den Grenzübertritt von Lettland nach Deutschland wurde der BMW innerhalb der EU verbracht. Der in der VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 verwendete Begriff „Verbringung“ ist unionsrechtsautonom auszulegen. Hierfür können etwa Begriffsbestimmungen in EU-Rechtsakten, die ein ähnliches Regelungsziel verfolgen, herangezogen werden. Definitionen in nationalen Rechtsakten (z.B. in § 2 Abs.20, 21 AWG) sind dagegen nicht unmittelbar anwendbar[1]. „Verbringen“ im Sinne des Art. 3i Abs. 1 VO (EU) 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023 ist weit auszulegen und meint den von einem Handlungswillen getragenen körperlichen Transfer eines aus Russland ausgeführten Guts von einem EU-Mitgliedsstaat in einen anderen EU-Mitgliedstaat. „Verbringen“ in diesem Sinne setzt weder den Abschluss eines Verbringungsvertrags noch die Existenz eines von der Person des Verbringers verschiedenen Empfängers voraus. Auch ist unerheblich, ob das Gut zu privaten oder wirtschaftlichen Zwecken transferiert wird. Dieses weite Verständnis des Verbringenbegriffs entspricht dem Regelungsziel des Verordnungsgebers. Die VO Nr. 833/2014 sollte und soll in allen Fassungen russische natürliche und juristische Personen wirtschaftlich schwächen. Dies ergibt sich z.B. aus Erwägungsgründen (1) und (2) der VO Nr. 833/2014 und dem Wortlaut von Art. 3h Abs. 1 VO Nr. 833/2014 i.d.F. vom 27.04.2023, der u.a. ausdrücklich die Ausfuhr und Verbringung von Luxusgütern an natürliche Personen verbietet. Eine weite Auslegung des Verbringenbegriffs, bei der auf den bloßen körperlichen Transfer des Guts abgestellt wird, setzt dieses Ziel möglichst effektiv um, da die Hintergründe des konkreten Grenzübertritts (z.B. der konkrete Zweck des Transfers) regelmäßig nicht aufklärbar wären.

Der BMW wurde durch den Grenzübertritt von Russland nach Estland aus Russland ausgeführt (und in die EU eingeführt). Der Fahrer dürfte in Kenntnis der tatsächlichen Umstände und damit vorsätzlich gehandelt haben. Eine Unkenntnis des Fahrers von dem Bestehen des Verbringungsverbotes könnte gemäß § 17 S. 1 StGB allenfalls zu einem schuldausschließenden Verbotsirrtum führen. Ein derartiger Irrtum könnte durch das Verhalten der jeweiligen Zollbeamten bei der Einreise des Fahrers mit dem Pkw nach Estland und Lettland noch bestärkt worden sein. Dennoch hätte der Fahrer diesen etwaigen Irrtum vermeiden können, indem er die mediale Berichterstattung über die EU-Sanktionen gegen Russland zum Anlass genommen hätte, vor Antritt seiner Reise rechtlichen Rat einzuholen.

Der Pkw ist ein potentielles Beweismittel im Sinne des § 94 Abs. 1 StPO. Seine Beschlagnahme war und ist wegen der Gefahr des Beweismittelverlustes auch verhältnismäßig. Anderenfalls wäre zu befürchten, dass der Fahrer den Pkw an seinen jetzigen Wohnort in Lettland verbringt, auch wenn er sich hierdurch erneut strafbar machen sollte.

Landgericht Lübeck – Beschlüsse vom 26. September 2023 – 6 Qs 20/23 und 6 Qs 25/23

  1. vgl. zur unionsautonomen Auslegung etwa EuGH, Urteil vom 14.01.1982 – 64/81 Rn. 9; Witte, 8. Aufl.2022, Art. 5 UZK Rn. 4[][]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2012 – 1 StR 213 Rn. 70[]
  3. ABl.EG Nr. L 130 vom 27/05/1993 S. 0004-0075[]
  4. vgl. dort die Präambel[]